Rezension
Dr. Walter Kiefl
Mentalibre Verlag
München

Gerhard Ludwig: Der Weg der Götter. Erzählung.

In seinem neuesten Roman "Der Weg der Götter" stellt Gerhard Ludwig ein erschreckendes, aber keineswegs unwahrscheinliches Szenario der näheren Zukunft vor: Für das Jahr 2036 wird die Ankunft eines großen Asteroiden erwartet, der mit hoher Wahrscheinlichkeit die ohnehin durch Klimawandel und fortschreitende Umweltzerstörung schwer angeschlagene Erde so treffen wird, dass es dort kaum noch Chancen für den Fortbestand höherer Lebensformen gibt. Die 2018 von Vertretern mächtiger Organisationen gegründete "Human Life Foundation" (HLF) hat sich zum Ziel gesetzt, geeignete Exemplare der Spezies Mensch auf einen fernen Planeten zu evakuieren, um so das Überleben der Art zu sichern. Einer der Auserwählten ist der Kampfpilot Enno Garsson. Mit seinem in Japan modifizierten Körper, dem mentalen Unterbau des Shintoismus und mit neuartigen und höchst effektiven Waffen ausgerüstet soll er zusammen mit anderen den Grundstock für eine neue Menschheit bilden. Zunächst gilt es jedoch, sich und seine drei Kinder unbeschadet durch eine schwierige, von wirtschaftlichen und sozialen Problemen, Kriegsauswirkungen, hoher Kriminalität und dem Zusammenbruch von grundlegenden Werten und Normen heimgesuchte Zeit zu bringen. Dies gelingt ihm zwar, doch kann er seiner Familie und einigen Freunden traumatische Erfahrungen nicht ersparen. Schließlich verlassen die Kinder die dem Untergang geweihte Erde, während auf ihn - wie auf den Rest der Bevölkerung - der Einschlag des Kometen und das Ende der Welt wartet.

Das Erschreckende an Ludwigs Buch ist, dass es sich dabei um keine grausige Science-Fiction-Phantasie handelt, sondern um ein prinzipiell jederzeit mögliches Geschehen. Seit einigen Jahren weiß man, dass der Zusammenstoß der Erde mit einem größeren Himmelkörper keinesfalls so unwahrscheinlich ist, wie lange vermutet wurde. Einschläge in der Vergangenheit, so z.B. im Golf von Mexico, im Nördlinger Ries oder die Tunguska-Katastrophe von 1908 lassen ahnen, was solche Ereignisse für die Erde und das Leben auf ihr bedeuten können. Es tröstet wenig, dass man jetzt allmählich nachzudenken beginnt, wie derartigen Bedrohungen begegnet werden könnte. Auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass effektive und praktikable technische Lösung gefunden werden, bleibt doch aufgrund der bisherigen Erfahrungen des Umgangs mit globalen Umweltproblemen (einschließlich der Bevölkerungsexplosion) zu fürchten, dass es sehr lange dauern wird, bis das destruktive Stadium national, ideologisch und religiös motivierter Empfindlichkeiten und gegenseitiger Schuldzuschreibungen überwunden ist.

Dies wird auch im "Weg der Götter" nicht klagend, sondern - der aktuellen und wohl auch zukünftigen Verfassung der Menschen bzw. Gesellschaft entsprechend - ironisch dargestellt, aber leider nur beiläufig. Dies trifft auch für die aufmerksamen Lesern vertraut vorkommenden Beschwichtigungs-, Bagatellisierungs- und Beschönigungsversuche der Regierenden und ihrer Medien zu. Diese Feststellung der Beiläufigkeit ist kein Vorwurf, sondern drückt nur das Bedauern darüber aus, dass das Lesepublikum nicht mehr vom satirischen Talent des Autors genießen kann. Aber andererseits ist gerade die knappe und klare, sich auf das Wesentliche beschränkende und auf alles Überflüssige (wie z.B. die üblichen und den Handlungsfortgang störenden Beziehungs- und Bettgeschichten) verzichtende Darstellung eine der großen Stärken dieser ebenso packenden wie deprimierenden Erzählung. Ludwig versteht es wie nur wenige, nicht nur eine Vielzahl von Informationen in ein kompaktes Buch hineinzupacken, sondern auch, nur allzu bereitwillig verdrängte Ängste und Einsichten so zu vermitteln, dass es schwer fällt, wieder in die gewohnte Welt der täglich massenmedial vermittelten Banalitäten zurückzukehren.

Manche Leser und vor allem Leserinnen könnten sich an einigen grausamen Szenen stören, in welchen sich der Protagonist entschlossen und erfolgreich gegen die Übergriffe marodierender Banden und krimineller Einzelner wehrt. Das ist verständlich, schreckt der Autor doch nicht davor zurück, mit der seit der Aufklärung gepflegten und daher liebgewordenen Illusion der im Kern guten, rationalen und solidarischen Natur des Menschen zu brechen und ein realistisches Bild vom Sozialverhalten in einem untergehenden Ordnungsgefüge zu skizzieren. Enno Garsson ist kein wendiger Weltmann, kein feiger Konformist und kein idealistischer Träumer, aber auch kein streitlustiger Gewalttäter, sondern ein verantwortungsvoller Vater und disziplinierter Kämpfer, dem das Schicksal seiner Kinder und Freunde, die Bewahrung der eigenen Integrität und die Erfüllung der von ihm eingegangenen Verpflichtung am Herzen liegt. Und er sieht die Welt realistisch, wenn er z.B. feststellt, dass Führung notwendig ist, denn die Menschen hätten die Eigenschaft von Gasen, indem sie "immer den Raum einnehmen, den man ihnen gibt." Dieses Zitat bringt die Ursache aller gesellschaftlichen Fehlentwicklungen auf den Punkt, denn die Erdenbewohner sind aufgrund ihrer ungebremsten und unreflektierten Aggressions- und Expansionslust, ihrer Eitelkeit, Habgier und Raffsucht und ihrer Manipulierbarkeit sowie des sich daraus ergebenden destruktiven Wirtschaftssystems nicht in der Lage, den Planeten durch vorausschauende Selbstbeschränkung zu einem behaglichen Ort für alle zu machen. Weil sie das nicht können, scheint der Weg in den Abgrund auch ohne den Asteroiden (der das Ende nur beschleunigt) unausweichlich, doch will sich Garsson um seiner Kinder und um des großen Planes der HFL willen damit nicht abfinden. Insofern vermittelt die Geschichte trotz ihres bedrückenden Hintergrundes auch Hoffnung, zeigt sie doch, dass es selbst unter chaotischen Bedingungen möglich ist, das für richtig Erkannte durchzusetzen und den Anvertrauten Treue zu bewahren. Enno Garsons bedingungslose Orientierung an oft als überlebt angesehenen Tugenden wie Treue und Disziplin lässt ihn ungeachtet seiner modernen Implantate und seiner vom Schintoismus geformten Geisteshaltung und trotz der Kargheit der Charakterisierung als aufrichtige, mitfühlende und unbedingt verlässliche Lichtgestalt und als Orientierungspunkt in einer sich in jeder Richtung auflösenden Welt erscheinen.

Alles in allem handelt es sich beim "Weg der Götter" um ein trauriges, aufrüttelndes, kenntnisreiches, nachdenklich machendes, spannendes und vor allem gut geschriebenes Buch, das wohl niemanden unbeteiligt zurück lässt, zumal im Anhang noch auf die Möglichkeit von Kollisionen zwischen der Erde und Asteroiden und auf einige Auswirkungen solcher Begegnungen eingegangen wird, so dass das gespenstische Szenario nicht mehr als interessante Fiktion abgetan werden kann.

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