|
||||||||||
Leseprobe:
Traust du dich?
Dann geh mit mir auf eine dunkle Reise, eine, die dich schaudern lässt, auf ganz besond´re Weise. Eine Reise Traust du dich? Stell dich den Geschöpfen der Nacht, Traust du dich? Tritt nun ein - Michaela Schreier - Auszug aus der Titelgeschichte "Nimm dich vor den Muurspöök in Acht ... ... Ich weiß es noch wie heute. Ich war zehn Jahre alt und hockte
wieder bei Uroma in der warmen Stube. In ihrem kleinen Holzofen brannte
ein knisterndes Feuer und sie saß häkelnd in ihrem Lieblingssessel.
Ich lag auf dem Teppich und malte. Uroma schaute auf, betrachtete mein
Bild und fragte: Was malst du denn Schönes?Das
ist eine Moorhexe! Hier kannst du sie jetzt erkennen? Ich
reckte mich und hielt ihr mein Kunstwerk entgegen. Die Muurspöök sind das Schlimmste, was sich jemals in den Mooren herumgetrieben hat. Die Alten in unserem Dorf nannten sie auch ,Seelfreter. Das bedeutet ,Seelenfresser. Die Muurspöök verstecken sich im aufgeweichten Morast und warten nur darauf, arme verirrte Menschenseelen zu schnappen und sie in ihr dunkles Reich zu ziehen. In ihrer wahren Gestalt sehen sie fürchterlich aus! Sie sind über und über mit schwarzem Schlamm bedeckt und ihre langen Haare kleben an ihren hageren, seltsam verformten Körpern. Sie haben lange, scharfe Klauen, mit denen sie ihre Beute fest packen und in wenigen Sekunden zerreißen können. Sie stinken barbarisch, nach altem Schlamm und Verwesung und ihre Augen glühen wie rote Kohlen. Sie können für kurze Zeit ihr Aussehen verändern und viele verschiedene Gestalten annehmen. In Form von schneeweißen Einhörnern, wunderschönen Jungfrauen oder weinenden Babys locken sie die Menschen tief in das Moor hinein. Haben sich die armen Leute erst einmal verirrt, nehmen die Muurspöök ihre hässliche Gestalt wieder an und jagen sie so lange, bis sie sie mit ihren kräftigen Klauen zu greifen bekommen. Dann saugen sie ihnen die Seele heraus und lassen die leeren Körper im Moor versinken. Viele Menschen sind damals in den Mooren umgekommen und in unserem kleinen Dorf machte man die Muurspöök dafür verantwortlich. Ich kannte all diese Geschichten und mied das Moor, so gut es ging. Jedes Mal, wenn ich Botengänge für meine Mutter erledigen musste, machte ich einen großen Bogen um die morastigen Landstriche. Während meine älteren Geschwister auf dem Feld und in der Küche helfen mussten, war es meine Aufgabe, zum nächstgelegenen Hof oder Dorf zu laufen, um Besorgungen zu erledigen. Im Frühling und Sommer liebte ich es, kilometerweit durch die einsame Natur zu streifen. Doch im Spätherbst und an kalten Wintertagen waren diese Botengänge nicht besonders angenehm. Genau an so einem trüben Herbsttag schickte mich meine Mutter zu der alten Käthe, deren Hof ungefähr sechs Kilometer von unserem entfernt lag. Käthe war eine uralte Kräuterfrau und lebte allein mit ein paar Hühnern und Enten in einem kleinen Bauernhaus. Die Leute aus unserem Dorf hielten sie für nicht ganz richtig im Kopf. Man munkelte, dass sie so etwas wie eine Hexe sei und jeden in Nullkommanichts in eine schleimige Kröte verwandeln könnte. Meine Mutter war die Einzige, die nicht auf dieses Gerede hörte und der Alten ab und zu einen Besuch abstattete. Mich nahm sie oft mit und ich fand die alte Käthe alles andere als unheimlich. Ich konnte nicht verstehen, warum die anderen ihr so sehr misstrauten. Mir hatte sie jedenfalls nie ein Haar gekrümmt im Gegenteil, sie war sogar stets sehr nett zu mir. Trotz ihrer sagenumwobenen Heilkräfte hatte sich die alte Käthe
eine schlimme Erkältung eingefangen und ich sollte ihr deshalb Holundersaft
und ein paar frische Kräuter bringen. Ich zog mir also meinen warmen
Mantel an, setzte mein Kopftuch auf und machte mich mit dem Bündel
auf den Weg. Es war bereits Nachmittag und meine Mutter trieb mich zur
Eile an, damit ich vor der Dunkelheit wieder zu Hause war. Schnellen Schrittes
wanderte ich die vertrauten Feldwege entlang und kam nach ungefähr
einer Stunde auf dem einsamen Bauernhof an. Die alte Käthe lag hustend
im Bett und freute sich sehr über meinen Besuch. Ich setzte mich
auf ihre Bettkante und reichte ihr das Bündel. Sie bedankte sich
mit heiserer Stimme für die guten Sachen, die meine Mutter ihr eingepackt
hatte. Dann kramte sie in ihrem Nachtschränkchen herum und hielt
mir plötzlich ein kleines Amulett vor die Nase, das an einem dünnen
Kettchen hing.
|
||||||||||