Leseprobe:
Tod am Volkmarskeller (Sarina M. Lesinski)
Zwiegespräch
Die Zeiten sind unruhig geworden, Matthias, seufzte der Abt
und wandte sich wieder seinem Gesprächs-partner zu. Die Irrlehre
dieses Ketzers aus Wittenberg verbreitet sich leider immer schneller,
weil neuerdings auch Bauern und Handwerker lesen können, was in der
Bibel steht. Dabei ist die Auslegung schon für uns berufene Brüder
schwierig genug.
Ja, Vater, gab Matthias leise zurück, und die Bauern
werden immer aufsässiger.
Deshalb ist dein Auftrag so wichtig. Das Michaelis-kloster bei Blankenburg
ist ein sicherer Ort für die heilige Reliquie des Märtyrers
Stephanus. Die kursächsischen Herzöge sind wehrhafte Schirmherren.
Die nehmen es gut und gern mit Wegelagerern und Diebsgesindel auf.
Wohlwollend ruhte der Blick von Abt Ulrich auf seinem Zögling, dem
er einst das Leben rettete. Matt-hias Bader war mit einem Makel zur Welt
gekommen. An seiner linken Hand hatte er nur vier Finger. Lange Zeit gelang
es den Eltern, diese kleine Missbildung zu verbergen, aber eines Tages,
als Matthias etwa vier Jahre alt war, entdeckte eine Nachbarin das Geheimnis
und in Windeseile flog die Botschaft von Mund zu Mund, bis am Abend das
ganze Dorf Bescheid wusste. Die Sonne stand schon tief, als sich der aufgebrachte
Mob vor der Baderhütte versammelt hatte und die Herausgabe des Kindes
verlangte, das ganz offensichtlich eine Teufelsbrut war.
Gerade, als die Männer mit Äxten die Tür einschlugen, erreichte
der Zisterzienserbruder Ulrich den Ort. Er wollte noch einmal rasten und
am nächsten Morgen seinen Weg nach Walkenried fortsetzen.
Die Tür splitterte unter den wütenden Schlägen und einige
Frauen hatten das schreiende Kind herausgezerrt. Der Bader hatte versucht,
seinen Sohn zu retten, aber die johlende Menge bewarf ihn mit Steinen
und setzte ihm mit Knüppeln und Flegeln zu und ließ erst von
ihm ab, als er reglos am Boden lag. Dann hatten sie die zitternde Baderin
in dem großen Bottich in der Hütte ertränkt. Ulrich hatte
schnell erfasst, dass er die Eltern nicht mehr retten konnte, aber diesen
Jungen mit den blonden Locken und den großen angsterfüllten
blauen Augen, der eher einem Engel ähnelte, wollte er auf gar keinen
Fall dieser hasserfüllten Meute überlassen. Er nahm das Kind
mit sich und wanderte die ganze Nacht hindurch, um möglichen Verfolgern
zu entgehen. Am Ende seiner Kräfte, mit dem schlafenden Matthias
auf dem Arm klopfte er in Walkenried ans Klostertor. Der Bruder an der
Pforte hatte nicht schlecht gestaunt, als er den erwarteten Bruder mit
einem Kind vor dem Tor stehen sah. Vierzehn lange Jahre waren inzwischen
vergangen. Aus dem Kind war ein junger Mann geworden. Matthias war groß
und hager, aber er verfügte über einige bemerkenswerte Eigenschaften.
Er war gewandt und ausdauernd. Lange Wanderungen machten ihm nichts aus,
und er war fromm.
Morgen wirst du aufbrechen. Dieser Brief, der Abt tat ein
paar Schritte durch den Raum und nahm ein zusammengerolltes Pergament
von dem Schreibpult, ist für den Abt in Michaelstein bestimmt.
Er darf auf gar keinen Fall in fremde Hände geraten, eben so wenig
wie die heilige Reliquie.
Ich werde beides mit meinem Leben beschützen, versprach
Matthias und der Abt lächelte. Er wusste, dass er sich auf seinen
Zögling verlassen konnte. Deshalb hatte er trotz seiner Jugend Matthias
ausgewählt und keinen von den etwas älteren Brüdern.
Bei Sonnenaufgang mache ich mich auf den Weg. Wenn ich keinen Wegelagerern
oder sonstigem Gesindel begegne, was mich zu Umwegen zwingen würde,
kann ich in zwei Tagen im Michaelskloster sein.
Gut. Nimm die heilige Reliquie jetzt an dich. Der Abt reichte
Matthias ein kleines silbernes Kästchen. Verstaue es gut unter
deiner Kutte und schütze es vor neugierigen Blicken.
Matthias schlug ein Kreuz, ehe er das Kästchen entgegennahm, verneigte
sich und murmelte ein kurzes Gebet.
Geh jetzt, und triff deine Vorbereitungen!
Damit war Matthias entlassen.
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