Leseprobe:
Wo ist der Regen(Maria Göthling)

Schon seit Wochen sandte die Sonne ihre heißen, sengenden Strahlen auf die Erde herab. Alles stöhnte unter der Hitze.
„Es müsste unbedingt mal wieder regnen!“, sagten die Menschen. Aber der Regen kam nicht. Kein einziges Wölkchen stand am blauen Himmel.

„Piep! Wir haben Hunger!“, schrien die kleinen Stare Flic und Flac. Seufzend steckte ihre Mutter Elli jedem ein Stück Kirsche in den Schnabel. Sie wusste ganz genau, dass ihre Kinder von dieser Leckerei nicht wachsen und gedeihen konnten. Aber woher sollte sie Käfer und Würmer nehmen? Die hatten sich alle tief in der Erde verkrochen. Doch der Boden war durch die Sonne ausgedörrt und hart geworden, sodass auch der schärfste Schnabel ihn nicht aufzubrechen vermochte.
Die Starenkinder hungerten trotz der Kirschen, mit denen Elli sie fütterte. Sie waren schon ganz kraftlos geworden. Heute Mittag hatte Flac nicht einmal seinen Schnabel richtig aufsperren können.
„So geht das nicht weiter!“, sagte Arthur, der Vater der kleinen Stare. „Frau, bleib du bei den Kindern! Ich fliege zur Sonne und bitte sie, doch mal eine Pause zu machen, damit es regnen kann.“
„Arthur, das ist gefährlich! Was soll ich tun, wenn dir etwas geschieht?“
„Nun, ich hoffe, dass alles gut geht! Denk an mich, mein Schatz, und sorge für unseren Nachwuchs. Ich weiß, dass das schwer ist, so ganz allein – aber wir müssen etwas tun, sonst haben unsere beiden kein langes Vogelleben!“
Noch einmal schnäbelten die Stare miteinander. Das ist für sie so ähnlich, als wenn die Menschen sich ein Küsschen geben. Dann erhob sich Arthur in die Lüfte und flog davon – der Sonne entgegen. Immer steiler stieg er empor. Bald war er nur noch ein klitzekleiner Punkt am Himmel – dann war er den Blicken seiner Familie entschwunden. ...

 

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