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Leseprobe:
Die Wintersonne, die Göttingen in strahlendes
Licht tauchte, schaffte es nicht, das kleine Haus bei der Stadtmauer ein
wenig zu erwärmen. Mühsam quälte sich der Rauch nach oben, um dann durch das Eulenloch,
eine kleine Öffnung im Dach, nach draußen zu gelangen. Marie
wandte sich den Fensteröffnungen zu und betrachtete die weißen
Leinentücher, mit denen diese zugehängt waren. Diese hielten
zwar die Kälte ab, ließen den Raum jedoch dunkel erscheinen.
Hans wird dieses Haus verschönern, dachte sie, und
schon bald wird er Pergament, diese dünnen, durchsichtigen Tierhäute,
in die Fenster heften. Dann wird es am Tage viel heller sein in unseren
Räumen. Während Marie gedankenversunken in sich hineinlächelte,
zupfte die kleine Sofie verspielt an den schönen blonden Locken ihrer
Mutter. Diese schob ihr Haar nach hinten in den Nacken und drehte sich
unruhig zur Haustür. Sie wartete auf Hans und wollte endlich damit
beginnen, für die Familie Getreidebrei zu kochen, denn seit den Morgenstunden
hatten sie alle nichts mehr gegessen.
Leseprobe 2016 Leseprobe ab Seite 208 Göttingen lag am Jakobsweg und darum kamen immer mehr Pilger in diese Stadt. Sie trugen eine Kammmuschel am Hut, die sie auch Jakobsmuschel nannten. Diese Muschel symbolisierte die Verbundenheit mit Jakobus, der an der spanischen Küste gestrandet sein soll. Sie wirkte auch in ihrer Form wie die Finger einer Hand und die Pilger nutzten sie als Trinkgefäß. Auch sollen die Furchen der Jakobsmuschel die Wege darstellen, die durch ganz Europa nach Santiago de Compostela hinführen. Die Muschel bekam der Pilger in Spanien als Beweis, dass er den heiligen Ort aufgesucht hatte. Entdeckt wurde das angebliche Grab des Jakobus im Jahr 800. Während der Wallfahrt musste der Pilger seinen Besitz mit den Armen teilen. Außer dem Hut trug er einen Büßerrock mit Ärmeln, einen Mantel oder Umhang, einen Gürtel, Lederschuhe und einen langen Stock. Umgehängt hatte er eine Tasche und am Gürtel befand sich eine Flasche. Der schwere Mantel durfte nicht zu lang sein, da er beim kräftigen Ausschreiten nicht behindern sollte und in seiner Tasche befand sich alles Nötige für den langen Pilgermarsch zu Fuß auf dem Jakobsweg nach Spanien, zur Stadt Santiago de Compostela, in der Jakobus der Ältere, ein Jünger Jesu und einer der zwölf Apostel, begraben sein soll. Die Pilger gingen diesen langen Weg, um dem Höllenfeuer zu entgehen. Sie wurden von der Kirche geschickt, um Buße zu tun und viele kehrten nicht mehr zurück in ihre Heimat, denn der Weg war sehr gefährlich. Der Pilger fand nicht selten den Tod auf seiner Wanderung. Einige Kilometer von Santiago de Compostela entfernt lag für die christliche Kirche das Ende der Welt das Kap Finisterre danach kam das endlose Meer nach Westen. Zum Pilgermarsch gehörte die Rückkehr in die Heimat. Die Wege schienen endlos. Der Pilgermarsch konnte bewältigt werden, wenn sie nur das Allernötigste bei sich hatten. Von vielen Menschen wurde die Jakobuslegende angezweifelt, aber die Pilger störte das nicht. Es waren auch der Glaube und das Abenteuer, die die Menschen oft nach Spanien trieben. Selbst Kranke pilgerten und hofften auf ein Wunder. Die Betreuung der durchreisenden Pilger galt als vornehmste Pflicht und die Göttinger bemühten sich, dieser Aufgabe nachzukommen. Auch die Pilger bettelten und empfanden dieses auch nicht als Schande, denn sie waren stolz darauf, im Auftrage der Kirche nach Spanien zu gehen. Geschlafen wurde in den Ecken der Kirchen und zur Verehrung des heiligen Jakobus hatte Göttingen sogar eine Bruderschaft. Manche Pilger bekamen von der Kirche Strafen auferlegt, weil sie ein Verbrechen begangen hatten. So war der Täter durch den langen Weg in das fremde Land für einige Zeit seiner Umgebung entzogen worden und möglicher Rache entkommen. Kehrte er zurück, so war die Tat womöglich in Vergessenheit geraten. Aber oft brachten sie auch Krankheiten mit, wenn sie sich unterwegs angesteckt hatten. Der Jakobsweg nach Santiago de Compostela war neben Rom und Jerusalem wichtig für die Christenheit. Pilger, auf dem Weg aus Richtung Norden kommend, wanderten weiter von Göttingen über die Orte Geismar, Diemarden, Reinhausen, Lichtenhagen, Kirchgandern, Allendorf, Eisenach durch Deutschland über Frankreich nach Spanien. Als Mittelpunkt der Welt galt Jerusalem. ![]()
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