Leseprobe:
Der Marshal (Niko Hass)

Prolog

Er hielt auf einem kleinen Plateau, von dem aus er einen mühelosen Überblick nach allen Seiten hatte. Sein Pferd hatte einen längeren Ritt hinter sich und brauchte unbedingt eine Pause. Es schnaufte ein paar Mal kräftig und entspannte sich. Dann begann es zu grasen. Der Reiter sah sich um. Ihm war klar, dass er sich in einem Dilemma befand.
Dafür war der Inhalt seiner Satteltasche verantwortlich, den er sich gewaltsam angeeignet hatte. Dieser Inhalt zwang ihn, so viele Meilen wie möglich zwischen sich und den Ort zu bringen, von dem er im Morgengrauen aufgebrochen war. Wesentlich war außerdem, dass er ohne Zeitverzögerung und unbeschadet, den Treffpunkt erreichte, den sie nach dem Überfall vereinbart hatten. Sein Bruder und dessen Komplize besaßen einen Teil der Beute. Weil sie zeit ihres Lebens zusammengehalten hatten, verstand es sich von selbst, dass sie die Beute gerecht teilen würden. Der Reiter konnte sich denken, dass man ihn verfolgte. Jedoch musste er auch Rücksicht auf sein Pferd nehmen und durfte es nicht zuschanden reiten, wenn er ihnen nicht in die Hände fallen wollte.
Der Appaloosa-Hengst knabberte gemächlich am spärlichen Gras des Plateaus und ließ sich Zeit, denn sein Reiter war abgesessen und dehnte die etwas steif gewordenen Glieder. Auch für ihn hatte sich der Ritt bis hierher anstrengend gestaltet und die Mittagshitze zeigte jetzt ihre Wirkung. Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel. Der Schweiß lief dem Mann wie in Sturzbächen herunter. Außerdem quälte ihn unbändiger Durst. Das Wasser in seiner Feldflasche musste bis zum Abend reichen. Er hoffte, bis dahin zu einer Siedlung, mindestens einer Poststation zu kommen. Dort würde es frisches Wasser geben. Und ein Bett anstelle von Decke und Sattel auf hartem Boden. ‚Vielleicht aber doch besser im Freien schlafen. Wo ich allein bin‘, dachte der Mann. Aber um eine Ergänzung seiner Vorräte würde er nicht herumkommen.
Er nahm einen Schluck und befestigte die Feldflasche wieder am Sattel. Dabei entdeckte er etwa zehn Yards hinter sich auf dem Weg einen Skunk. Der grub mit seinen Vorderpfoten an einer Stelle des spärlich bewachsenen Bodens nach irgendetwas. Der Reiter beobachtete ihn eine Weile. Dann ließ er seinen Blick weiter zurück den Weg entlang schweifen. Plötzlich entdeckte er in der Ferne eine winzige Bewegung, die nicht in das gewohnte Bild der Landschaft passte. Da die Luft flimmerte, sah es zunächst aus wie eine Fata Morgana. Doch gleich darauf wurde dem Mann bewusst, dass das, was ihn alarmiert hatte, eine Staubwolke war. Er fokussierte angestrengt seine Augen auf die Erscheinung und erstarrte. ‚Das Aufgebot! Wie konnten die mich so schnell finden? Ganz schön clever, diese Burschen.‘, schoss es ihm durch den Kopf. Mit hastigen Bewegungen zog er den etwas gelockerten Sattelgurt wieder straff an, schwang sich in den Sattel, gab dem Appaloosa die Sporen und preschte im Galopp davon.

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