Leseprobe:
Keltenzauber (Manuela Tietsch)


4. Die zweite Begegnung

Flanna hörte sich die CD von Catherine Ann MacPhee an und sah abwesend hinaus. Die Stimme dieser stämmigen Sängerin ließ sie gedanklich in schottische Gefilde tauchen. Im nächsten Augenblick erschrak sie. Vor dem Schaufenster standen vier Schotten in alten Kilts. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Diese Männer, und, da war sogar eine Frau dabei, sie wirkten, als wären sie den Highlander - oder Braveheard - Filmen entstiegen. Unverschämt neugierig starrte sie einer von ihnen an. Er stand so nahe an der Scheibe, als wollte er deren Vorhandensein leugnen. Seine vom Schnee durchnäßten, dunkelbraunen Haare fielen strähnig gewellt bis über seine Schultern und umrahmten sein Gesicht. Ein Gesicht so wohlgeformt, daß es auch einer Frau hätte gehören können, wenn da nicht das kantige Kinn und die starken Wangenknochen gewesen wären. Seine dunkelbraunen Augen musterten sie durchdringend, aufdringlich. Sie fühlte sich ausgezogen, tief berührt.
Und endlich erkannte sie ihn! Sie war sicher, sie hatte ihn vor einigen Jahren schon einmal gesehen! Auf dem Busparkplatz des Bahnhofes! War das ein Zufall!? Er war der Grund, daß sie sich seither noch mehr für Schottland begeisterte, als zuvor. Der Grund, daß sie nicht nur Zuhörerin von gälischen Liedern geblieben war, sondern diese alte Sprache gelernt hatte und, daß sie seitdem als Sängerin auf mittelalterlichen Märken mitwirkte.
Dieser Mann schien ebenso wenig in diese Welt zu passen, wie ein Fisch nicht in die Luft gehörte. Wieder lief ein Schauer durch ihren Körper. Und wie seltsam, daß diese Leute aufgetaucht waren, als sie die CD zu hören begann. Sie zwang sich die Blickverbindung abzubrechen und nahm sich vor weiter nach hinten in den Laden zu gehen. Diese Leute waren ihr unheimlich. Das ganze war ihr unheimlich. Obwohl sie im Grunde ihres Herzens am liebsten zu ihm gegangen wäre, um ihm zu sagen, daß sie ihn schon einmal gesehen hatte, und, daß sie seine Sprache gelernt hatte, um dieses Mal mit ihm reden zu können. Sie hatte sich doch fest vorgenommen ihn anzusprechen, wenn sie das Schicksal ein zweites Mal zusammenführt! Doch jetzt fehlte ihr der Mut.

Der Blickwechsel war so eindringlich. Ich fühlte meine Glieder zucken, um zu ihr in den eigenartigen Wohnraum zu laufen, um nur nah genug bei ihr zu sein. Ich ertappte mich bei dem Gedanken ihr die Kleider vom Leib zu reißen, um ihre nackte Haut fühlen und den Anblick ihres Körpers genießen zu können. Ich stellte mir vor, wie meine Hand ihre wohlgeformte Brust umhüllte und an ihrem Hals hinauf wanderte, um zärtlich ihre Lippen zu berühren. Ich schüttelte den Kopf um die Gedanken loszuwerden. Sie paßte nicht zu den anderen. Gehörte sie nicht hier her, so wie wir?
Gavin zog mich unsanft am Arm, riß mich von ihr los. "Komm!"
Ich sah ihn ärgerlich an, ehe ich mich erneut der Füchsin zuwandte; doch sie war inzwischen weiter nach hinten gegangen und sprach mit einem der Männer in schwarz. Abwägend sah sie von einer silbernen Scheibe zur anderen hinunter. Doch plötzlich drehte sie mir ihr Gesicht erneut zu, als wollte sie sich versichern, daß ich sie beobachtete. Ebenso plötzlich sah sie wieder weg. Widerstrebend ließ ich mich von Gavin weiterziehen. Der Zauber schien gebrochen; die Füchsin beachtete mich nicht mehr. Hatte ich mir ihren durchdringenden Blick nur eingebildet?
Nach einigen Schritten blieb Calum unerwartet stehen, er zitterte. "Seht!" Bestürzt zeigte er auf schwarze und silberne Kastentruhen, die hinter der Wand auf Ständern standen und auf einer Seite geöffnet waren, sodaß wir hineinsehen konnten.
In diesen Truhen bewegte sich etwas, das hatte ich bereits zuvor wahrgenommen, doch nun erkannte ich, was sich dort bewegte. Menschen! Das Grauen lief mir über den Rücken. In den kleinen Truhen lebten offensichtlich winzige Menschen! Oder handelte es sich um Zwerge? Elfen? Trolle? Ich entdeckte Tiere, konnte Pferde erkennen, welche über die Heide galoppierten. Betroffen trat ich einige Schritte von der durchsichtigen Wand weg. Es war zu ungeheuerlich.
Wie ein Blitz traf mich der nächste Schock; Da waren Scoti. Da ritt tatsächlich ein Scote in den Farben der MacLeods. Ein Scote, fast so wie wir welche waren. Er ritt unmittelbar in eine Schlacht hinein. Ich sah das Blut spritzen, als ein Mann geköpft wurde.
Eithne zog scharf die Luft ein.
Ich legte erschüttert die Hand auf meine Brust. Mein Herz pochte so stark, als wollte es herausspringen. Wie war das möglich? Wie war es bloß möglich, daß Menschen in solch kleinen Truhen lebten? Wie kamen sie dort hinein? Das war der Beweis! Ich war mir plötzlich sicher. Gemmán gaukelt uns das alles vor. Nie und nimmer konnten Menschen oder Tiere so klein gezaubert werden.
Während wir fassungslos beobachteten; und sicherlich nicht nur mir das Herz wild bis hinauf in den Hals schlug, als wollte es meinen Körper sprengen, kamen zwei Männer in schwarz aus dem Inneren des Raumes auf uns zu. Wir konnten den Ablauf der Schlacht und das ganze Schlachtfeld übersehen und trotzdem konnten wir nicht eingreifen! Die Männer gingen geradewegs hinüber zu einer dieser kleinen Truhen, in der sich die Menschen hinmetzelten, doch anstatt einzugreifen, nahm sich einer der Männer einen schwarzen Stab, drückte darauf herum und zeigte auf die kämpfenden Männer, derweil sie herzlich lachten als einer der Scoten von einem Schwert durchbohrt wurde. Unerwartet erschien ein anderes Bild; zwei Menschen die sich leidenschaftlich liebten. Die beiden Männer schenkten dem keine Beachtung



 

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