Leseprobe:
Heim - wärts mit Humor (Gertrud Keitel)

Wie alles begann

Ich bin in einem kleinen Dorf am Rande des Riesengebirges geboren. Nach der Vertreibung kam ich mit meinen Eltern und drei Geschwistern nach Hessen. Hier besuchte ich die Schule, absolvierte eine Lehre zur länd-lichen Hauswirtschafterin und die Handelsschule. Durch meine Heirat kam ich nach Niedersachsen.
Verheiratet bin ich seit 56 Jahren und wir haben vier Kinder.
Nachdem die Kinder einer nach dem anderen das Haus verlassen hatten und mein Mann seine Selbstständigkeit aufgeben musste, begann ich im Alter von 53 Jahren eine Ausbildung zur medizinischen Fußpflegerin. Die Arbeit habe ich von Beginn an sehr gern getan. In dieser Zeit eröffnete in unserem Städtchen ein Altenheim.
Ein Friseurmeister hatte einen Raum gemietet, in dem auch ein Fußpflegebereich eingerichtet werden sollte. Wir stimmten uns ab, planten einen Raumteiler und richteten uns ein. Kurze Zeit später kam die junge Friseurin Silke hinzu. Die Zusammenarbeit war von Anfang an gut und ein Vorteil für uns alle. So konnten wir uns bei Problemfällen und Handreichungen gegenseitig helfen.
In den vergangenen 20 Jahren Jahren gab es viele besondere Momente, zum Teil bei Hausbesuchen, aber auch in meiner Praxis. Als ich begann, diese Erlebnisse aufzuschreiben, wollte ich nur heitere Sachen zu Papier bringen. Ich merkte aber sehr bald, dass das nicht möglich war. Das Leben ist zu vielschichtig und manche Schicksale sind absolut nicht lustig.


Mit Speck fängt man Mäuse

Herr Tomas lebt schon längere Zeit in unserem Haus. Irgendwelche Beschäftigung, Spiele oder Unterhaltung sind für ihn nicht interessant. So sitzt er vor den Mahlzeiten immer ein bis zwei Stunden im Wartebereich vor unserer Tür. Was er beobachtet oder denkt, weiß kein Mensch. Eine Unterhaltung mit ihm ist schier unmöglich. Aber Frisör- oder Pflegemaßnamen an Händen und Füßen sind von Zeit zu Zeit unumgänglich.
„Herr Tomas, bitte kommen Sie mit zur Fußpflege.“
„Nä!“
„Ach kommen Sie doch. Sie sind von der Station angemeldet.“
„Nä!“
„Schwester Angelika hat sie angemeldet. Sie meint, es sei dringend.“
„Nä!“
„Außerdem tut doch sicher Ihr Hühnerauge weh?“
„Nä!“
„Na gut, dann bleiben Sie sitzen. Eigentlich ist es schade. Wir haben neue ganz leckere Bonbons!“
Ohne ein weiteres „Nä“ steht Herr Tomas auf und schlurft hinter mir her zur Bonbonschale. Natürlich nimmt er gleich zwei Stück, eingewickelt in goldenes Papier. In den nächsten 20 Minuten haben wir beide keine Schwie-rigkeiten. Als Belohnung gibt es zum Abschied nochmal einige Bonbons. Es heißt doch so schön: „Mit Speck fängt man Mäuse.“ Nun wissen wir aber, dass es mit Süßigkeiten auch funktioniert.


Ordnung muss sein

Frau Lenau stammte aus Schlesien. Sie hatte dort eine kleine Landwirtschaft. Nach der Vertreibung arbeitete sie als Tagelöhnerin bei Bauern. So schaffte es die Familie, ein kleines Häuschen zu bauen.
Die Zeit verging und beide Töchter verließen das Haus. Die eine zog in die Welt, die andere heiratete zur Freude der Eltern einen Landwirt.
So hatte Frau Lenau einen neuen Aufgabenkreis: Haus, Garten, Bauernhof – sie war unermüdlich tätig.
Die Kräfte schwanden mit den Jahren und sie bezog ein Zimmer bei uns im Heim. Ich glaube, dass Menschen, die immer tätig waren, auch im Alter Beschäftigung brauchen.
Es ist bei uns üblich, dass nach dem Abendessen im Speisesaal der Tisch für das Frühstück eingedeckt wird. Eines Morgens kamen die Damen vom Service, und siehe da – die Tische waren leer, total abgeräumt, so-gar Salzstreuer und Servietten. Alles war ordentlich auf der Ablage gestapelt. Die Begeisterung für so viel Ordnungssinn hielt sich allerdings in Grenzen und die Beschwerde kam. Die Beschäftigten des Spätdienstes behaupteten aber, die Tische ordnungsgemäß gerichtet zu haben. Niemand hatte etwa gesehen oder bemerkt, bis die Pflegerinnen des Nachtdienstes kamen.
„Frau Lenau kam mir heute Nacht auf dem Flur entgegen. Sie hat von Unordnung und Schlamperei berichtet. Gut, dass sie erst einmal Ordnung gemacht hat.“
Frau Lenau konnte sich aber an nichts erinnern. Es war auch nicht mehr wichtig. Wichtig war, dass der Frieden unter den dienstbaren Geistern wieder hergestellt war.
Mit ein wenig Humor lässt sich vieles ertragen und bereinigen.


 

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