Leseprobe:
Projekt Arche (Hartmut Großer)

„Okay“, befahl er. „Helme auf! Wir gehen runter.“

Beinahe gleichzeitig reagierten die Besatzungsmitglieder. Sie stülpten die Raumhelme über den Kopf und ließen die Verschlüsse an der Halskrause klickend einrasten. Danach schlossen sie die Sauerstoffversorgung an, die über ein Multifunktionsgerät erfolgte. So waren sie auch sofort durch Bordfunk miteinander verbunden. Als Letztes zogen sie die Anschnallgurte über den Körper und kippten die Andrucksitze in die Horizontalposition.

Carson tastete die Landeautomatik, deren Schaltung sich direkt neben dem Joystick der Steuerung auf der gepolsterten Armlehne befand.

Plötzlich ertönte ein leises, warnendes Summen in den Kopfhörern.

„Warte einen Moment, Andy“, verlangte Lieutenant Sven Thorson und stellte seinen Sessel wieder auf.

Der schlanke, blonde Mann aus Schweden bediente seinen Ortungsplatz links hinter dem halbrunden Pilotenpult. Er galt als der ruhigste und besonnenste des Teams. Manchmal betätigte er sich als Warner, wenn die Freunde seiner Meinung nach vorschnell handelten.

An der Konsole neben ihm saß Dorian Hunter. Ebenfalls Lieutenant und in seiner athletischen Statur und Größe ähnlich dem Kommandanten. Nur dass er im Gegensatz zu dessen glatten, braunen Haaren einen wilden, dunklen Haarschopf besaß, der seinem ungestümen Temperament entsprach. Sein Aufgabenbereich umfasste die Feuerleitung.

Der Raumtransporter war mit einigen leichten Thermopulskanonen ausgerüstet, einer Weiterentwicklung aus der Laser-Technik, die als Meteoritenabwehr dienten.

Auch er schob seinen Sitz in die Ausgangslage zurück. Gespannt blickte er zur Seite auf die Oszilloscopes und Datendisplays der Ortungsgeräte. Bevor Thorson noch eine Meldung abgeben konnte, sagte Hunter mit unruhigem Tonfall: „Da kommt was rein. Etwas ganz großes, mit einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit.“

„Melde einen Panne, Anyala! Wir warten noch. Ich will wissen, was das ist“, befahl der Commander und richtete ebenfalls den Sessel auf.

Seine behandschuhte Hand schoss vor und schaltete die Automatik, die bereits die Landung eingeleitet hatte, zurück auf manuell. Anschließend packte er mit Rechts den Joystick und ließ die Linke über die Eingabesensorik huschen.

Tief unten im Rumpf brüllten die Aggregate auf und ein dicker Plasmastrahl zuckte aus dem Heck. Der Raumer machte einen Satz nach oben und wurde von dem Captain mit Hilfe der Steuerdüsen in der alten Höhe von dreißig Kilometern stabilisiert.

„Was ist mit den Daten, Sven?“

„Einen Augenblick noch, Chef. Gleich habe ich sie.“ So schnell er konnte, bediente der Schwede die Sensorik.

Die Kurven auf dem Oszilloscope änderten laufend ihre Form. Auch die Anzeigen der Displays liefen kontinuierlich durch. Endlich stabilisierte sich das LIDAR-Bild. Der abtastende Laserstrahl des RADAR-ähnlichen Erfassungsgerätes lieferte konkrete Angaben. Der Computer wertete die Impulsechos aus und stellte das Bild plastisch dar.

„Ich erfasse einen gigantischer Felsbrocken, Andy. Spindelförmig, mit einer Länge von 31.436 Metern. Der Durchmesser an der dicksten Stelle beträgt 7.961 Meter. Er besteht aus Eisen/Nickel und ist von Meteorgestein umgeben. Die Masse beläuft sich auf 1,2371 Billionen Tonnen. Geschwindigkeit 198,2 Kilometer pro Sekunde. Entfernung 310.207 Kilometer. Es besteht keine Gefahr, er passiert uns in weitem Abstand.“

„Los, berechne den Kurs, Sven!“

Auf einmal bekam Andrew einen fürchterlichen Kloß in den Hals. Er hatte das Gefühl, jeden Moment ersticken zu müssen. Das war die Bestätigung seiner Ahnung. Also entsprachen die Gerüchte über einen riesigen Meteoriten doch der Wahrheit!

Thorson berechnete den Kurs anhand der LIDAR-Erfassungen. Leichenblass stotterte er die Resultate heraus: „Direkter …Kurs auf die…Erde. In …elf Sekunden …wird er einschlagen.“

„Nein!“

Der angstvolle Schrei der Navigatorin gellte durch die Raumhelme. Auch Dorian Hunter war an seinem Platz herumgefahren und blickte entsetzt auf den großen Frontbildschirm, dessen Kameras der Commander blitzschnell auf die Erde einstellte.

Carson schluckte ein paar Mal. Dann erklang seine auf einmal heisere Stimme: „Auftreffpunkt ermitteln, Sven! – Anyala, schick eine Warnung raus!“

Obwohl er genau wusste, dass es zu spät war, gab er diese Befehle. Er hatte die irrsinnige Hoffnung, doch noch etwas damit zu erreichen.

Trotz ihres Entsetzens handelten die beiden sofort. Die Disziplin und das bedingungslose Verlassen aufeinander trug Früchte.

„Asien! Nahe dem Baikalsee“, gab Sven mit brüchiger Stimme bekannt.

Die Spanierin hantierte verzweifelt an ihrem Funkgerät.

„Zu spät“, flüsterte der Feuerleitoffizier.

Sein sonst so vorlautes Organ versagte fast. Mit brennenden Augen starrte er auf den Bildschirm, der den blauen Heimatplaneten darstellte.

Auf dem asiatischen Kontinent flammte eine riesige Feuerkugel auf.

Fassungslos, unfähig sich zu rühren, starrten die vier Menschen auf das schreckliche Geschehen, das der Frontbildschirm in allen Einzelheiten zeigte.

Kleine bläulichweiße Flämmchen zuckten urplötzlich über die Konsolen. Das Bild auf dem großen Schirm wurde übergangslos dunkel. Auch auf den Arbeitsplätzen versagten die Anzeigen und Displays. Die Außenmikrofone ihrer Helme übertrugen ein Knistern. Dann flackerte das Licht und erlosch nach zweimaligem Blinken endgültig. Unten im Rumpf verstummten die Triebwerke. In der selben Sekunde waren sie schwerelos.

„EMP!“, rief Thorson nach einem schnellen Blick auf seine dunklen Kontrollen. „Der Impuls hat unsere Elektronik lahmgelegt. Wir stürzen ab!“


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