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Leseprobe:
Das lächelnde Kalb Kenia 1992 von Karin Rosenplänter Kenia spontan denke ich an hakuna matata, einen besonders
aus Der König der Löwen bekannten Begriff, der in
Swaheli alles in Ordnung in jeder Form umschreibt. Heute, am dritten Tag unserer Rundreise, steht ein Besuch im Massai-Dorf
an. In einem Pulk von sieben Jeeps geht es durch die Wildnis. Vorbei an
Löwen, Elefanten und Co., unser Fahrer Ali bittet uns während
der Fahrt, bei Ankunft im Dorf dem stolzen Volk der Massai Respekt zu
zollen. Eine Selbstverständlichkeit für uns, aber leider nicht
für alle. Oh je, wie würd ich mich fühlen, wenn wildfremde
Menschen durch meine Wohnung rennen, alles begaffen und anfassen?
Ups, da hab ich wohl laut gedacht. Manche Leute muss man babbeln lassen, denke ich. Wir jedenfalls
werden die Privatsphäre dieser Menschen respektieren. Ali bleibt
mit uns beiden auf dem Dorfplatz zurück, während unser vierter
Mann sein gutes Recht einfordert. Schließlich hat er
ja dafür bezahlt
Gespannt schaue ich mich um. Der gesamte Dorfplatz ist ein einziger Haufen aus Hühnermist und Kuhfladen. Plattgestampft durch circa hundert Massaifüße und wer weiß wie viele Touristen. Erstaunlich, dass es hier so gar nicht stinkt. Die aus dünnen Stöcken geflochtenen Rundhütten sind kreisförmig um den Platz herum angeordnet. Die Dächer hat man zum Schutz vor Sonne und Regen mit Plastikplanen und weiteren Kuhfladen bedeckt. Lediglich eine der Behausungen ist mit einer Tür und Fensterläden ausgestattet. Hier lebt der Häuptling des Stammes. Der Rest der Hütten ist türen- und fensterlos. Nicht einmal Tücher grenzen den Innenraum vom Außen ab. Fast ausschließlich junge Mütter belagern den Dorfplatz. Sie tragen ihre Babys in bunten Tüchern auf dem Rücken. Ihr goldener Schmuck glitzert in der heißen Mittagssonne. Eine Vielzahl Kleinkinder tobt fröhlich um die hübschen Frauen herum. Sie spielen mit freilaufenden Hühnern Fangen und ein kleiner Junge trullert ein altes Rad durch den Staub. Dabei hüpft er immer wieder krummbuckelig hindurch. Von links nach rechts, von rechts nach links. Die Älteren haben unterdessen mit einem Stock ein Spielfeld in den Boden gekratzt und werfen nun Steinchen für Steinchen darauf. Immer wenn ein bestimmtes Symbol getroffen wird, schreien und kreischen alle durcheinander und die Kleinen kommen neugierig herbeigelaufen. Ihr ausgelassenes Lachen zeigt deutlich sichtbar ihre Freude am Leben und selbstvergessenen Spiel. Mein Blick wandert ruhig durch das Dorf. Die älteren Frauen stehen abseits des Trubels, fernab der Hütten. Wie eine bunte Perlenkette haben sie sich aufgereiht und beginnen für die Touristen zu tanzen und zu singen. Nach einer Weile gesellen sich die jungen Frauen und Kinder hinzu. Ich lasse meinen Blick noch einmal über den Dorfplatz schweifen, während ich den fremden Klängen lausche. Plötzlich fühle ich mich beobachtet. Ich suche den Platz nach
forschenden Augen ab und werde schnell fündig. Auf der gegenüberliegenden
Seite des Dorfplatzes steht ein alter hochgewachsener Mann. Sein hagerer
Körper ist in ein rotes Webtuch mit orangegelben Streifen gewickelt.
Nur sein rechter Arm schaut etwas heraus. Mit diesem stützt er sich
auf einen langen Stock, ein Bein etwas nach vorn gestellt. Seine knubbeligen
Kniegelenke springen mir sofort ins Auge, so mager ist der Mann mit dem
grau bestoppelten Kopf. Seine Füße stecken in ausgelatschten
grauen Sandalen. Seine wachsamen Luchsaugen tasten uns ab, bevor er sich
langsam und gemächlich in Bewegung setzt. So, als hätte er noch
ein halbes Jahrtausend Zeit. Er steuert direkt auf uns zu. Dann stellt
er sich neben mich und nimmt meine Hände zwischen seine. Verlegen lächele ich dem Häuptling zu und halte ihm mein Haar hin. So etwas habe ich bisher noch nie erlebt. Sein Wunsch irritiert mich doch sehr. Mit strahlenden, fast schwarzen Augen lässt er immer wieder seine dunkelbraune Hand durch meine langen hellblonden Locken gleiten. Mir ist, als würde die Zeit stehen bleiben. Für einen Augenblick vergesse ich die Menschen und den Ort um mich herum. Es gibt hier nur noch einen schwarzen und einen weißen Menschen, die sich auf seltsame Weise nahestehen. Kurz darauf spricht der Häuptling Ali erneut an, während ich,
immer noch ergriffen, das süße Kälbchen zu unseren Füßen
betrachte. Seelenruhig schläft es auf dem staubigen Boden. Mit klopfendem Herzen beuge ich mich also zu dem Kälbchen hinab, streichele sein Köpfchen und bitte leise um Gottes Segen für dieses Dorf und sein einziges Kalb. Plötzlich zeigt es seine breiten Vorderzähne. Es sieht aus, als würde es selig lächeln. Der Häuptling nimmt noch einmal meine Hände in seine, streichelt ein letztes Mal meine blonden Locken und schenkt mir sein zahnloses Lächeln. Unser kleines hakuna matata! Für einen Augenblick fühle ich mich irgendwie väterlich geliebt und bin unendlich dankbar für dieses einzigartige Erlebnis. Lachend nehmen wir voneinander Abschied.
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