Leseprobe:
Mordsgeschichten aus dem Eichsfeld und anderswo (Creativo)
Seite 73 bis 75
Blutmond
von Melanie Buhl
Riesengroß schien der Mond am Nachthimmel über Karls Heimatort
Rüdershausen zu stehen. Er tauchte
den kleinen Ort vor ihm in ein mystisches Spiel aus Licht und Schatten.
Karl schritt zügig über den neuen
Radweg, der die beiden Orte Rhumspringe und Rüdershausen verband.
In der Ferne leuchtete das
Firmenschild des Malers Stahl und wies ihm den Weg. Viel zu lange hatte
er mit seinen Freunden beim
Kartenspiel gesessen.
Der Neue in der Runde, Franz, kam ihm sonderbar vor. Süffisant lächelnd
hatte er über den ganzen Abend
gewonnen und den Gewinn großspurig eingestrichen. Immer wieder fielen
Bemerkungen, die Karl
zusammenzucken ließen. Er habe den einen oder anderen Job zu vergeben,
aber nur an mutige Männer, die
keine Angst vor der Polizei hätten. Nein, natürlich nichts Illegales.
Franz bot sogar an, dass die Freunde sich
ihren Spielverlust locker mit einem kleinen Job ausgleichen könnten.
Die anderen lachten arglos über diese
dubiosen Angebote. Karl, den der Verlust der heutigen Pokerrunde arg schmerzte,
hatte kurz darüber
nachgedacht, ob er genauer nachfragen sollte, dann aber doch geschwiegen.
Er wollte in seiner Situation
nicht noch mehr Ärger.
Seit Jahren ging alles schief. Seine Frau Hilde war seit einem Autounfall
ein Pflegefall. Teilnahmslos lag
sie in ihrem weiß bezogenen Bett. Wenn Karl sie im Pflegeheim besuchte,
starrte sie wie durch ihn
hindurch. Manchmal hatte sie Tränen in den Augen und Karl wünschte,
dass sie ihn erkennen möge. Die
Ärzte nannten es Wachkoma und machten ihm keine Hoffnung auf Besserung.
Der Unfallverursacher hatte sich einfach aus dem Staub gemacht, ohne sich
um die schwer verletzte
Frau zu kümmern. Ein zufällig vorbeikommender Arzt leistete
damals Erste Hilfe, sonst wäre Hilde noch an
Ort und Stelle verblutet. Einziger Hinweis war, dass das Unfallfahrzeug
von extrem grellgrüner Farbe
gewesen sein musste. Laut Polizeiaussage war es keine Standardfarbe irgendeines
Herstellers, sondern
nachlackiert. Spuren davon konnten an Hildes Wagen sichergestellt werden.
Kinder hatten die beiden nicht und in seiner Trauer und Einsamkeit hatte
Karl Trost im Alkohol
gefunden. Seinen Job als Taxifahrer hatte er dadurch verloren und das
Pflegeheim verschlang die letzten
Ersparnisse.
Mit Gelegenheitsjobs hielt er sich über Wasser. Manchmal stahl er
ein paar Lebensmittel Mundraub,
so entschuldigte er sich vor seinem aufkeimenden Gewissen. Die Bestohlenen
sahen das leider nicht so
locker. Einige Anzeigen gegen ihn liefen schon. Das sprichwörtliche
Wasser stieg höher und höher. Es
stand ihm bereits bis zum Hals.
Hatte er beim Pokern ganz ansehnliche Gewinne gemacht, konnte er davon
eine ganze Woche leben.
Heute aber hatte ihm dieser dubiose Franz das letzte Hemd ausgezogen und
Karl schlich mit leeren
Taschen nach Hause.
Es muss was passieren. Irgendwie muss ich zu Geld kommen!,
murmelte er.
Im fahlen Mondlicht glitzerte der Tau auf den Wiesen vor Rüdershausen,
die als Mahnte bekannt waren.
Das lang gezogene Geheul eines Hundes ließ Karl erschrocken zusammenfahren.
,Man könnte meinen,
der berüchtigte Mahnehund sei unterwegs um die Bewohner seines Dorfes
vor Bösem zu schützen. Bei
dem Gedanken musste er grinsen. Wen interessieren schon alte Sagen?
In den nächsten Wochen ging es mit Karl immer mehr bergab. Schließlich
ließ er sich doch auf einen
Handel mit Franz ein. Die Spielschulden, die er inzwischen bei ihm angehäuft
hatte, ließen ihn zusehends
schlechter schlafen. Franz hatte ihm großspurig einen Job besorgt.
Nichts Schwieriges, hatte er gesagt. Er solle nur zur Rhumebrücke
an der kleinen Verbindungsstraße
nach Lütgenhausen kommen, ein Päckchen von einem Kurier annehmen
und dieses einige Zeit
aufbewahren. Dann würde er einen neuen Ort und Termin genannt bekommen,
an dem er das besagte
Päckchen an einen weiteren Kurier übergeben sollte. Auf Karls
neugierige Frage, was denn in dem
Päckchen sei, antwortete Franz von oben herab: Es ist besser,
wenn du das nicht weißt!
Aber es ist doch nichts Illegales, oder?, erkundigte sich
Karl vorsichtig.
Franz lachte schallend: Nein, natürlich nicht! Spöttisch
blickte er hinter Karl her. Wie kann man nur so
naiv sein!
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