Leseprobe:
Fundsachen aus den Anthologien der Creativo (Gudrun Strüber)
Spukgedanken
Es geistert in mir
eine Mordsidee
will ich sie erfassen
verflüchtet sie sich
Beachte ich den Spuk nicht
fährt das Böse
munter Karussell mit mir
Warte nur
ich fass dich schon
muss nur erst
die Geister beschwören
Die armen Ritter
Es klirrte leise, wenn der Herbststurm durch die zerborstenen Fensteröffnungen
blies. Buntes Laub brachte er mit. Es trudelte wie im Tanz über die
abgetretenen Steinfußböden. Es erhob sich, wirbelte um den
schon lange kalten Kamin, um sich nach und nach zu den Tanzgesellen aus
dem vorigen Herbst und denen aus den Jahrhunderten vorher in einer windstillen
Ecke zu sammeln.
Türschwellen knarrten, die schon lange vermodert waren. Die wenigen
noch stehenden Säulen und Gewölbebögen knisterten.
Als der bleiche Vollmond in dieser Nacht für einen Augenblick sein
Licht in den großen Saal warf, hätte ein Besucher ein Ächzen
und Stöhnen gehört, aber es war kein Besucher da. Und noch etwas
hätte er gehört: Im nahen Dorf schlug die Kirchturmuhr zwölfmal.
Die Glockentöne schwebten lockend geisterhaft durch das verlassene
Herrenhaus. Mitternacht, der große Festtag Samhain begann.
Die Tür zur Anderwelt war nun einen Spalt geöffnet.
Die Geister der ehemaligen Bewohner versuchten wieder zu sein. Schemenhaft
saßen sie am großen Tisch und hielten ihre Humpen in den flattrigen
Händen. Zahnlose Münder grölten lautlos.
Wie in jedem Jahr, wenn in dieser Nacht der Vollmond schien, wandelte
auch eine weiß gekleidete Frau durch die Räume. In ihrem Arm
hielt sie schützend ihr Kind.
Fand sich in diesem Jahr eine mitleidige Seele, die diesen Geistern half,
das Totenreich zu betreten?
Eine Stunde nur war ihnen gegeben, zu hoffen und zu bangen.
Der Fluch der Mutter für den Mord an ihrem Kind hielt die Unholde
und die Verfluchende auf der Schwelle zum Totenreich fest.
Leise raschelte das Laub vorm Kamin. Alles Lebendige schien den Atem anzuhalten.
Nur die fast kahlen Bäume im Hof schüttelten warnend ihre Äste.
Ein leiser Glockenton schwebte durch die Räume.
Vorbei die Geisterstunde. Wieder vergebens.
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