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Leseprobe:
Die flüsternde Mauer (Manuela Tietsch)
Prolog
Askwin hielt einen Augenblick inne, nahm die Hand von der Holzbank fort.
Er täuschte sich nicht, sie war hinter ihm her und sie würde
ihn finden, egal wo er sich versteckte. Wenigstens war der Stein in der
Holzscheibe hier sicher versteckt, so sicher, wie er eben in der Eile
versteckt sein konnte. Die Bank war das Beste, was er auf die Schnelle
finden konnte und es war so offensichtlich, dass niemand ein Versteck
darin vermuten würde! Er lehnte sich an die Mauer und starrte auf
die Tür zur Halle.
Sein Körper zuckte zusammen, als Sarwigas Stimme vermeintlich zärtlich
neben ihm zu säuseln begann. Wie war sie unbemerkt neben ihn getreten?
Er wandte sich erschrocken um und starrte in die kalten Augen der schönsten
Frau, die er jemals gesehen hatte. Unwillkürlich begann sein Körper
zu zittern. Hatte sie gesehen, wie er die Scheibe versteckt hatte? Er
betete inständig es möge nicht so sein.
Nun, Askwin, wollet ihr mir nicht zumindest meynen Steyn wiedergeben?
Wenn ihr meynen Reyzen nicht geneyget seyd, gut, das könnt ich gar
nicht ändern, doch meyn Eygentum, das wollt ich zurückhaben!
Wenn er ihr den Stein zurückgab, hatte er kein Druckmittel mehr.
Er musste ihr viel bedeuten, viel mehr, als er geglaubt hatte. Um sein
Leben zu retten, musste er ihn hüten wie seinen Augapfel. Er schüttelte
den Kopf verneinend.
Ihr meynet ihr könnet mich eynschüchtern? Sie lächelte
höhnisch, überheblich. Das hätten schon mehr getan
und fraget nicht, wo diese sich inzwischen befinden!
Sicher waren sie tot, daran zweifelte er nicht einen Augenblick! Nur mit
Mühe brachte er schließlich die Worte heraus: Ich werde
ihn gar verwahren. Ihm sollt nichts geschehen, doch zu meyner Sicherheyt,
sollet ihr ihn erst wieder zurückerhalten, wenn ich sicher seyn könnt,
dass ihr mir keynen Schaden mehr antun wollet!
Euch Schaden? Askwin, ich wollt doch ganz anderes von euch, das
wisset ihr doch? Sie trat noch näher, dass er ihren kalten
Atem an seinem Hals spürte und strich mit ihrem Daumen, dessen Fingernagel
beinahe halb so lang war wie der Daumen selber, unter seinem Kinn entlang.
Er fragte sich in diesem Augenblick, weshalb ihr Atem kalt war und nicht
heiß, wie er hätte sein müssen.
Ein kalter Schauer überlief seinen Rücken und seine Hände
wurden eiskalt. Und wenn sie noch so schön war, einen noch so anziehenden
Körper besaß, er würde ihren Reizen nicht erliegen. Er
schüttelte erneut den Kopf.
Ihre Gesichtszüge, die bis eben noch schmeichelnd, freundlich gewesen
waren, veränderten sich schlagartig. Ein gefährlich drohender
Ausdruck erschien in ihren Augen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem dünnen
Strich. Sie hob drohend den Arm und spreizte ihre Finger.
Die Tür zur Halle öffnete sich, Farald und seine Mutter traten
in den dunklen Gang. Farald hielt die Fackel nach vorne, um seiner Mutter
zu leuchten. Askwin überfiel Angst. Wenn Sarwiga ihnen etwas antun
würde, er würde es nicht ertragen. Doch er versuchte seiner
Gefühle wieder Herr zu werden, so schnell wie sie gekommen waren,
damit Sarwiga ihn nicht durchschaute.
Sarwiga war einen winzigen Augenblick verwirrt, doch sie fing sich schnell
wieder. Sie sah zu den beiden, dann wieder zu ihm, und ein gemeines Grinsen
überzog ihre Lippen.
Glaubet ihr gar, die beyden könnten euch helfen? Sie
lachte auf.
Askwin schaute zu seiner Mutter und seinem Bruder, die inzwischen beinahe
bei ihnen angekommen waren. Farald lächelte und fragte nach: Askwin?
Sarwiga wandte sich wieder um. Sie hob beide Arme und spreizte die Finger
der linken Hand, während sie die rechte zur Faust ballte, als hielte
sie etwas darin. Sie wischte in der Luft herum, wedelte mit den Armen
umher.
Ihm wurde schlecht. Er sah wie sein Bruder und seine Mutter die Augen
kurz verdrehten und daraufhin die Lider schlossen, ehe sie nebeneinander
auf den Boden fielen. Was hatte Sarwiga ihnen angetan? Er versuchte an
ihre Kehle zu kommen. Er würde sie mit seinen bloßen Händen
erwürgen! Plötzlich musste er innehalten. Seine Hände und
seine Arme, sein ganzer Körper gehorchten ihm nicht mehr. Erschrocken
sah er in Sarwigas gehässiges Gesicht.
So du nicht tuest, was ich wollt, wirst du fühlen, was es heißt,
Sarwiga zu trotzen! Sie spreizte die Finger beider Hände erneut,
soviel nahm er noch wahr, unfähig zu einer einzigen Bewegung. Am
Boden lagen Farald und seine geliebte Mutter. Sein Herz klopfte heftig.
Du wirst slafen, solange ich es wollt! Und du wirst slafen unter
den Augen derer Menschen, die dir wichtig seyn und denen du wichtig seyst!
Doch glaub mir, meyn Guter, niemand wird dich gar sehen, noch erretten
können, soviel der Liebe gäb es gar nicht! Sie kreischte
ohrenbetäubend. Ihm wurde schwarz vor Augen, doch seltsamerweise
spürte er trotzdem, was sie ihm antat. Er spürte jeden Stein,
der sich um ihn festigte, als würde er damit beworfen werden. Trotzdem
brachte er nicht einen einzigen Schreckensschrei über die Lippen.
Die Einsamkeit umfing ihn.
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