Leseprobe:
Es wird schon werden (Dorothea Christian)
1992, wieder auf dem Weg nach Hiddensee. Er
verändert sich in jedem Jahr.
Große Baufirmen, Hoch- und Tiefbau. Auf den Schildern
sucht ich , nun fast zwei Jahr nach der Wende, nach Unternehmen aus den
neuen Ländern. Ich habe keine gefunden.
Viel Geld für den Aufbau Ost floss zurück in westdeutsche Taschen.
Da hat sich mancher eine goldene Nase verdient.
Urlaub in Kloster auf Hiddensee.
Das Wieseneck sollte viele Jahre unser Feriendomizil bleiben. Gegenüber
dem Hauptmannhaus, an der unbepflasterten Dorfstraße gelegen. Hohe
alte Bäume. Hinter dem Haus die Terrasse; weit der Blick über
die Wiesen bis zum Bodden.
Den Gastwirt kannte ich ja schon. Das Frühstück war köstlich.
Es duftete nach Kaffee und frischen Brötchen aus der Bäckerei
gegenüber. Selbstgekochte Marmelade, Griebenschmalz.
Die Küche hatte zwei große Schüsseln mit Sanddornquark
und Sanddornjoghurt angerührt. Wurst und Käse. Als kleine Überraschung
kam täglich aufs Buffet, was vom Vortag übriggeblieben war.
Mal Heringssalat oder Aal sauer, Kuchen, denn es wurde täglich gebacken.
Wir erkundeten den Strand, mieteten den Strandkorb, besuchten die Inselkirche.
Es gab oft Konzerte, Vorträge, Lesungen. Plauderten mit dem Inhaber
der Inselbücherei. Lernten den Maler Berger und seine Frau kennen.
Heute hängen noch einige Bilder in meinem Wohnzimmer. Da ist der
Taufengel aus der Inselkirche, gemalt auf das grüne Bettgestell
aus der Vogelwarte. Ein Selbstbildnis von Berger, er malte gerade einen
Windflüchter. Die Königskerzen unterm Inselblick. Erinnerungen
an eine schöne Zeit.
Wieder ein Jahr später auf der Insel.
Jetzt begann der Bau der Autobahn Lübeck-Greifswald, auf der ich
dann in den letzten Jahren nach Stralsund und über die Hochbrücke
auf die Insel Rügen fuhr. Von Schaprode fuhr ich nun mit der Fähre
nach Kloster.
Wieder in der vertrauten Gaststube mit den dunklen Holztischen, Bänken
und Stühlen.
Zum Abendbrot wie meistens: Sülze mit Bratkartoffeln, ich las die
Speisekarte von hinten
Was bekommt man für wenig Geld und dazu ein frischgezapftes Stralsunder.
Der Gastwirt sagte: Das gibt es nicht mehr. Och, na
dann nehme ich ein anderes aus der Region. Es gibt nur noch
Westbier. Ich schaute ihn verdattert an: Und die Brauereien?
Abgewickelt. Und die Menschen? Er zuckte mit den
Schultern.
Am anderen Morgen zum Kaffeetrinken auf der Veranda. Es schien wie immer
zu sein. Sonnenschein lag über den Wiesen und das entfernte Pferdegetrappel
klang gedämpft bis zu uns. Aber irgendwas war anders. Auf den Tischen
waren Abfallbehälter aufgestellt. Die Butter 20 grammweise in Stanniol
verpackt. Die Marmelade in kleinen, bunte Einmalbechern. Aufgeblähte,
blasse Brötchen, in der Küche am Morgen aufgebacken, pappig
nee, die schmecken nun gar nicht. Selbst der Käse war scheibchenweise
in Folie verpackt. Auch die köstlichen Reste vom Vortag gab es nicht
mehr. Jegliche Kreativität war verschwunden. Die Müllberge auf
dem Tisch und vor dem Haus wuchsen.
Die Wegwerfgesellschaft hielt Einzug.
Am letzten Tag setzte sich der Gastwirt zu uns. Sein Vertrag war zum 31.12
gekündigt. Ein neuer Verwalter aus Berlin hatte den Zuschlag bekommen.
Im neuen Jahr ging im Mai ein Bild durch die Medien, das mich zutiefst
erschütterte: Eine Obstplantage mit blühenden Apfelbäumen,
die einem ehemaligen volkseigenen Betrieb der DDR gehörte. Bulldozer
hatten hunderte der jungen, über und über mit Blüten übersäten
Bäume plattgemacht. Das war kein Abwickeln mehr, das war brutales
vernichten. Es gibt ein Bilddokument davon. Der Name des Ortes und Betriebes
sind bekannt. Niemand fragte nach, wer dafür verantwortlich war,
niemand wurde zur Rechenschaft gezogen.
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