Leseprobe:
Piris Piratengeschichten (Michaela Schreier)

Vorwort … oder besser gesagt:
Wie Piri, der Piraten–Seehund, ins Eichsfeld kam

„Hart Steuerbord!“, brüllte Kapitän Eisenkralle über den Sturm hinweg und wischte sich mit der Tatze durch das regennasse Gesicht. Der stattliche Kater klammerte sich mit seinem Piratenhaken am Hauptmast der ,Knarrenden Karla‘ fest und rief seiner Mannschaft lautstark Befehle zu. Der Sturm brüllte wie ein wütender Löwe und schmiss das Piratenschiff von einer Welle zur anderen. Die Nordsee war so wild und stürmisch wie seit Langem nicht mehr. Blitze zuckten über den wolkenverhangenen Himmel, Donner grollte. Die Piraten hatten alle Mühe, das Kentern des Schiffes zu verhindern. Steuermann Gonzo, ein großer, massiger Gorilla, riss mit aller Kraft an dem Steuerrad und versuchte das Schiff auf Kurs zu halten. Piri, der Seehund, rückte währenddessen seine Piratenmütze zurecht und wollte Kapitän Eisenkralle zur Hilfe eilen. Schließlich war er als Bootsmann für die Ordnung an Deck zuständig. Doch inmitten dieses fürchterlichen Sturms ging einfach alles drunter und drüber! Piri schlitterte gerade wie ein Pfeil über die nassen Planken, als der Papagei Pronto im Sturzflug auf ihn zuraste und sich verzweifelt an seinem Rücken festkrallte.
„Aua!“, schrie der Seehund empört, geriet aus der Bahn und landete krachend in der Schiffswand. Pronto fiel kopfüber von Piris Rücken herunter und kreischte: „Jetzt geht es uns an den Kragen! Beim Klabautermann, wir werden alle draufgehen!“
Piri wollte Pronto gerade den Schnabel zuhalten, als das Unglück geschah: Eine kräftige Welle erfasste ihn und spülte den Seehund mit einem lauten ,PLATSCH’ über Bord!
Sofort verschloss Piri seine Nasenlöcher und tauchte ab. Schwimmen und Tauchen konnte er besonders gut und unter der tosenden Meeresoberfläche war der Sturm ganz gut auszuhalten. Deshalb blieb Piri einige Minuten auf Tauchgang und ließ sich von der wilden Nordsee hin- und hertreiben.
Doch – als er zum Luftholen wieder auftauchte, sah er sich suchend um.
Wo war die Knarrende Karla?
Wo waren Kapitän Eisenkralle, Pronto, Gonzo und all die anderen Piraten?
Piri konnte sie nicht erblicken.
,Ach herrje!’, dachte der Seehund verzweifelt. ,Was soll ich denn nun tun?’ Da brach eine weitere Welle über seinem Kopf zusammen und drückte ihn wieder unter die Wasseroberfläche. Das ging eine ganze Weile so weiter. Bald wusste Piri nicht mehr, wo oben und unten war. Erschöpft ließ er sich von der Strömung treiben. Irgendwann wurden die Wellen etwas sanfter.
Der tapfere Seehund suchte noch einmal mit seinen dunklen Knopfaugen die See nach dem Piratenschiff und seiner Mannschaft ab, konnte aber niemanden entdecken.
„Oh je, oh je, oh je“, schniefte Piri, „hoffentlich nimmt das ein gutes Ende …“ Dann schlief er völlig erschöpft ein.
Piri erwachte, als ihm etwas Langes und Nasses durch das Gesicht fuhr. Er öffnete vorsichtig die Augen und blinzelte träge in die Sonne. Dann erschrak er! Vor ihm stand ein Hund. Ein echter, großer Hund mit hellbraunem Fell und langen Schlappohren.
„Bei Neptuns Bart!“, fluchte Piri und rutschte erschrocken von dem Vierbeiner weg. Doch als er sich so rasch beweg-te, schnappte der Hund schnell zu und hielt den zappelnden Piri sanft mit den Zähnen fest.
„Ich befehle dir, mich auf der Stelle loszulassen! Ich bin ein gefürchteter Pirat und lasse mich nicht einfach so von einem dahergelaufenen Köter vollsabbern! “, rief Piri aufgebracht, wagte es aber nicht, sich weiter zu bewegen. Die Fangzähne des Hundes waren ziemlich groß und spitz. Wenn er fester zubiss, war es um den kleinen Seehund geschehen.
„Bella!“, rief da plötzlich eine Frau aus der Ferne. „Was hast du denn da schon wieder?“
Als der Hund die Stimme seines Frauchens hörte, hob er Piri hoch und trottete ihr entgegen.
„Heilige Makrele! Nun auch noch ein Mensch!“, stöhnte Piri leise.
Als der Hund bei der Frau angekommen war, setzte er sich zu ihren Füßen und präsentierte ihr stolz seinen Fund. Die Frau nahm ihm den Plüsch-Seehund vorsichtig aus dem Maul.
„Na, was haben wir denn da …“, murmelte sie erstaunt.
Piri verdrehte insgeheim die Augen und dachte genervt: ,Ja, was bin ich wohl? Eine Meerjungfrau etwa? Ich bin ein Piraten-Seehund – das sieht man doch! Menschen sind wirklich nicht besonders clever!’
Die Frau wischte den Sand aus Piris nassem Fell, zupfte an seinem Halstuch herum und staunte dann über den Totenkopf, der darauf prangte.
„Hui! Ein echter Pirat! Bist wohl über Bord gegangen, was? Unser Strandurlaub ist heute zu Ende. Willst du vielleicht mit mir und Bella nach Duderstadt kommen? Ich kenne da eine Autorin, die schreibt tolle Geschichten. Sie könnte auch all deine Abenteuer aufschreiben!“
Piri horchte auf. Seine Abenteuer aufschreiben? Das hörte sich ja richtig spannend an! Außerdem hatte er sowieso keine andere Wahl. Schließlich konnte er der Frau nicht einfach vom Arm hüpfen und zurück ins Meer robben. Er hielt also ganz still, als sie ihn in ihre Strandtasche steckte.
Einige Zeit später saß Piri zusammen mit Bella auf dem Auto-Rücksitz. Aufgeregt schaute er aus dem Fenster und wartete darauf, diesen geheimnisvollen Ort namens Duderstadt zu erblicken.



 

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