Leseprobe:
Märchenhafte Gedanken über die Zeitzeugenberichte in den Märchen vom Matriarchat zum Patriarchat (Gudrun Strüber)

Ein Märchenbuch über die ganz andere Art zu denken

>Dann ging er geradewegs nach des Königs Schloß. Die Wache rief: "Halt! Wohin?" - "Zu dem König!" - "Laß ihn nur gehen", sagte ein anderer, "der König hat oft Langeweile, vielleicht macht ihm der Kater mit seinem Brummen und Spinnen Vergnügen."<

Der "neue Mann" verfügt über Witz und Charme. Er bekommt zur Vertreibung der Langeweile und zur Belustigung der Herrschenden den Zugang zu ihnen gestattet. Humor und Unterhaltung sind schon immer Schlüssel gewesen, mit denen sich neue, eventuell unbequeme Gedanken einschleichen konnten.

> Als der Kater vor den König kam, machte er eine Verbeugung und sagte: "Mein Herr, der Graf", dabei nannte er einen langen vornehmen Namen, "läßt sich dem König empfehlen und schickt ihm hier Rebhühner, die er eben in Schlingen gefangen hat." Der König staunte über die schönen Rebhühner, wußte sich vor Freude nicht zu fassen und befahl, dem Kater so viel Gold aus der Schatzkammer in den Sack zu tun, wie er tragen könne. "Das bring deinem Herrn und dank ihm für sein Geschenk!"<

Mit Schmeichelei und Lüge, denn im neuen Denken gilt das Sprichwort: "Der Zweck heiligt die Mittel", bringt der Kater den Herrschenden das durch List in Schlingen gefangene, alte Wissen und zeigt ihnen, wie erfolgreich technisch - rationales zielgerichtetes Denken ist. Den Männern, die die Macht erstreben, ist klar, daß das neue Denken ein großer Erfolg auf dem Weg zur absoluten Herrschaft ist. Sie lohnen den Dienst mit Gold, dem Symbol für die Unzerstörbarkeit des Geistes.

>Der arme Müllerssohn aber saß zu Haus am Fenster, stützte den Kopf auf die Hand und dachte, daß er nun sein Letztes für die Stiefel des Katers weggegeben habe, und was der ihm schon Großes dafür werde bringen können. Da trat der Kater herein, warf den Sack vom Rücken, schnürte ihn auf und schüttete das Gold vor den Müller hin. "Da hast du etwas für die Stiefel, der König läßt dich auch grüßen und dir vielen Dank sagen!" Der Müller war froh über den Reichtum, ohne daß er noch recht begreifen konnte, wie es zugegangen war. Der Kater aber, während er seine Stiefel auszog, erzählte ihm alles. <

Unabhängigkeit macht auch ratlos. Die Anweisungen, nach denen gehandelt werden soll, fehlen. Auch das Risiko von Fehlentscheidungen muß getragen werden. Die Unsicherheit, von der das Märchen hier berichtet, wird in der Zeit der großen sozialen Umwälzungen weit verbreitet gewesen sein, auch die Ängste die damit verbunden waren. Der Erfolg des neuen Denkens war für viele Menschen unbegreiflich. In dieser Übergangszeit war die zielgerichtete Gesinnung noch nicht stabil. Sie konnte noch nach Bedarf eingesetzt und abgelegt werden, wie die Stiefel.

>Dann sagte er: "Du hast zwar jetzt Geld genug, aber, dabei soll es nicht bleiben. Morgen zieh ich meine Stiefel wieder an, du sollst noch reicher werden! Dem König hab ich auch gesagt, daß du ein Graf bist." Am anderen Tag ging der Kater, wie er gesagt hatte, wohlgestiefelt wieder auf die Jagd und brachte dem König einen reichen Fang.<

Die neue Denkungsart beginnt ihre Ziele zu zeigen: Immer mehr, immer besser, Erster sein! Nach einem Sinn dieses Tuns wird nicht mehr gefragt.

Fortschritt !

>So ging es alle Tage, und der Kater brachte alle Tage Gold heim und ward so beliebt wie einer bei dem König, daß er aus und eingehen durfte und im Schloß herumstreichen, wo er wollte.<

Zielstrebigkeit beseitigt Hindernisse, öffnet Türen, hat Erfolg, und Erfolg macht beliebt.

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